49 Jahre lang, zwischen 1945 und dem Jahr des endgültigen Truppenabzugs 1994, prägte die Anwesenheit sowjetischer Truppen auf deutschem Boden maßgeblich die Geschichte der SBZ, der DDR und seit 1990 der Neuen Bundesländer mit. Stationiert an der westlichen Peripherie des sowjetischen Einflussbereiches in Europa, galt diesen Truppen besonderes Augenmerk. Das betraf ihre außergewöhnliche hohe Alarmbereitschaft, die hohe Aufmerksamkeit, mit der die NATO-Staaten sie überwachten, das betraf auch ein sehr vielschichtiges und keineswegs nur von Problemen und Konflikten geprägtes Miteinander zwischen Stationierungssoldaten und der deutschen Zivilbevölkerung. Das logistische Rückgrat der sowjetischen Truppen war die Eisenbahn, Frankfurt (Oder) einer ihrer wichtigsten Knotenpunkte auf dem Boden der DDR, denn über keinen anderen Bahnhof wurden größere Truppen- und Materialtransporte von Ost nach West und von West nach Ost abgewickelt als über die Oderstadt. Für viele Hunderttausend Soldaten, Offiziere und deren Familien markierte Frankfurt (Oder) die erste Begegnung mit einem durchaus komplizierten Land. War und ist der Sieg über Deutschland im Mai 1945 ein überragend wichtiges Element der sowjetischen und russischen nationalen Identität, so wandelte sich die Besatzungszone mit der Gründung der DDR im Oktober 1949 zu einem teilsouveränen Verbündeten, was die landläufige Bezeichnung als »Bruderstaat« nur unvollkommen verdeckte. Gleichwohl war die DDR der bei weitem materiell wohlständigste Staat innerhalb des sowjetischen Einflussbereiches, was den Dienst zwischen Oder und Wera auch aus diesem Grunde zu einer besonders attraktiven Aufgabe machte. Klafften auch zwischen den Lebenswelten der Offiziere und jener der einfachen Soldaten tiefe Gräben, so wissen bis auf den heutigen Tag Hunderttausende ehemalige Wehrpflichtige in Russland von ganz erstaunlichen, vielfach sehr positiv konnotierten Erfahrungen aus ihrer Dienstzeit in der DDR zu berichten.
Die wichtige Rolle der Eisenbahn in der Logistik des Warschauer Paktes prägte auch das Frankfurter Umland mit bisweilen heute noch sichtbaren Spuren: Regelmäßig übten die Truppen das Überwinden der Oder, wozu das Errichten von Behelfsbrücken, das Vorhalten von ansonsten außer Betrieb genommenen Reservebrücken, die Anlage von Ausweich- und Umfahrungsstrecken und der Bau von Stichbahnen zu den Oderdämmen gehörten. Der Großraum Frankfurt (Oder) galt als ein zentral wichtiger, neuralgischer Punkt der Nachschub- und Versorgungsplanung auf allen Stufen einer für denkbar gehaltenen militärischen Eskalation.
Nur noch wenige im Bahnhofsbereich erhaltene Sachzeugen künden heute von der Funktion Frankfurts als wichtigster Drehscheibe des sowjetischen Militärverkehrs. Ohnedies waren andere Standorte als Garnisonen, Befehlszentren und Übungsplätze bedeutender, unverzichtbar aber war die Rolle der Oderstadt als Transitpunkt. Der Bahnhof Frankfurt (Oder) war der Ort des ersten Kontaktes mit dem fremden Westen und die letzte deutsche Station auf dem langersehnten Weg zurück in die Heimat, daran hatte sich zwischen Kriegsende und Abzug wenig geändert. In einer Reihe mit Wünsdorf, Berlin, Jüterbog und der Colbitzer Heide hat der Bahnhof Frankfurt (Oder) bis heute einen festen Platz auf der Erinnerungslandkarte vieler Tausender sowjetischer Militärangehöriger und deren Familien.
Autor
Prof. Dr. Werner Benecke
Weiterführende Literatur:
Bley, P.: DDR-Reichsbahn und »Vorbereitung«. Von GNR-Strecken, Eisenbahnbautruppen und Brückendublierungen, Berlin 2005,
Kuhlmann, B.: Eisenbahnen über die Oder-Neiße-Grenze, Pürgen 2004, Satjukow, S.: Besatzer. »Die Russen« in Deutschland 1945-1994, Göttingen 2008.